Mit der ist nicht gut Kirschen essen
Der Name der Gefülltblütigen Vogel-Kirsche ist irreführend: Vögel und Kirschen sucht man an ihr vergebens. Warum nicht nur Wissenschaftler mit Zählzwang sie trotzdem gerne pflanzen.
Woher stammt der Name „Gefülltblütige Vogel-Kirsche“?
Der römische Feldherr ›Lucius Lucullus war nicht nur Feldherr, sondern auch Gourmet – und konnte manchmal beide Rollen miteinander verbinden. So gelang ihm im Jahr 74 v. Chr. eine kulinarisch wertvolle Eroberung: Von seinem Feldzug durch Kleinasien brachte er Früchte mit, die an der Schwarzmeerküste, besonders rund um die Hafenstadt Kerasous, angebaut und gehandelt wurden.
Der griechisch-anatolische Stadtname lässt sich mit „reich an Kirschen“ übersetzen (noch heute trägt die Stadt, die mittlerweile ›Giresun heißt und zur Türkei gehört, eine Kirsche im Stadtwappen). Die Römer nannten die Früchte fortan „Kerasum“, woraus sich der Name für dieses Obst in nahezu allen europäischen Sprachen ableitet: von der niederländische „kers“ über die englische „cherry“ bis zur schwedischen „Krösbär“.
Dass Vögel gerne Kirschen essen, hat jeder Kirschbaumbesitzer schon erfahren müssen. Die Wilde Vogel-Kirsche ist die Urform, aus welcher der Mensch für seine eigenen Zwecke mehrere Süßkirschen-Sorten mit größeren und süßeren Früchten züchtete.
Speziell die Gefülltblütige Vogel-Kirsche hat allerdings jemand gezüchtet, der mehr Wert auf die Ästhetik als auf die Ernte legte. Diese Sorte bringt kaum Kirschen hervor, erfreut aber dafür das Auge im April und Mai mit sehr attraktiven, schneeweißen, kugeligen, dicht gefüllten, in Büscheln wachsenden Blüten. Und die Nase durch den leichten Honigduft derselben.
Der botanische Name dieser Kirschensorte lautet „Prunus avium ‘Plena’“. Prunus ist lateinisch und heißt zur allgemeinen Überraschung „Pflaumenbaum“. In der Frühzeit der Pflanzenklassifizierung wurden alle Steinobstgewächse dieser Gattung zugeordnet, so dass neben Pflaumen- auch Kirsch-, Aprikosen-, Pfirsich- und Mandelbäume diesen Namen tragen.
„Avis“ ist lateinisch für „Vogel“, und „plena“ heißt „voll, gefüllt“ – vielleicht einigen Lateinern aus der Redensart „Plenus venter non studet libenter“ bekannt, zu deutsch: „Ein voller Bauch studiert nicht gern“. Was nicht nur für den Verzehr von Kirschtorten zutrifft.
Woher stammt die Gefülltblütige Vogel-Kirsche?
Das natürliche Hauptverbreitungsgebiet der Vogel-Kirsche umfasst ein Band, das sich von Spanien und Italien über den Balkan und die Türkei bis in den Kaukasus und den Iran zieht. Mittlerweile wird sie zur wirtschaftlichen Nutzung von Skandinavien bis Nordafrika angepflanzt. Die Gefülltblütige Vogel-Kirsche hingegen wurde als Zierbaum speziell für Gärten und Parks gezüchtet.
Wo finde ich Gefülltblütige Vogel-Kirschen im Gütersloher Stadtpark?
Man könnte meinen: auf der Obstwiese. Dort finden sich tatsächlich gleich sieben verschiedene Kirschbaum-Sorten – doch kein Gefülltblütiger. Denn die Obstwiese, 2001 mit Mitteln des Förderkreises Stadtpark angelegt, ist altwestfälischen Sorten vorbehalten und soll den Reichtum der traditionellen Obstbaumlandschaft dokumentieren. Doch nur wenige Gehminuten entfernt wird der Besucher des Botanischen Gartens fündig. Dort wachsen am Weg, der vom Naturnahen Garten durch das Zentrum des Sonnengartens zum Ausgang an der Dalke führt, gleich zwanzig Gefülltblütige Vogel-Kirschen.
Wie pflanze ich eine Gefülltblütige Vogel-Kirsche im eigenen Garten?
Zu Ihren Gunsten und zu Ungunsten von Vögeln und Bienen. Zu Ihren Gunsten, weil diese Sorte besonders dekorativ ist. Außerdem brauchen Sie keine Angst zu haben, dass Ihr Rasen oder Ihr Weg von abgefallenen und zertretenen Kirschen verunstaltet wird. Des einen Freud ist der anderen Leid: Bienen und Vögeln kann dieser Kirschbaum nicht als Nahrungsquelle dienen, was den Namen „Vogel-Kirsche“ ad absurdum führt.
Immerhin ist die Gefülltblütige Vogel-Kirsche eine Futterpflanze des Großen Fuchses. Diese vom Aussterben bedrohten Schmetterlingsart wurde unlängst zum ›„Schmetterling des Jahres 2018“ gekürt. So muss niemanden ein schlechtes Gewissen plagen, der sich an gefüllten Kirschblüten erfreuen will.
Wer hätt´s gedacht?
Wie viele Blüten entwickelt eine ausgewachsene Vogel-Kirsche? Tausend? Zehntausend? Vielleicht sogar Hunderttausend? Wer etwas Zeit hat, kann ja mal auf den Bänken unter den Vogel-Kirschen im Botanischen Garten Platz nehmen und zählen. Wer weniger Zeit hat, profitiert davon, dass es offenbar an Arithmomanie (Zählzwang) leidende Wissenschaftler an der TU Dresden gab, die sich dieser Frage angenommen haben. Ihnen zufolge sind es mehrere Hunderttausend, bei einigen Bäumen mehr als eine Million.
Auf den Bänken unter den Vogel-Kirschen im Botanischen Garten sollten Sie dennoch Platz nehmen – zählen Sie stattdessen einfach die schönen Stunden, die Sie dort verbringen können.
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