Kentucky-Geweihbaum

Sackgasse der Evolution

Einen Kentucky-Geweihbaum wie im Botanischen Garten Gütersloh sieht man nicht häufig. Die Art ist selten – und dass sie überhaupt noch gibt, ein kleines botanisches Wunder. Denn wenn es um die Fortpflanzung geht, ist das Gehölz in eine Sackgasse der Evolution abgebogen: Es hat sich auf Tiere spezialisiert, die längst ausgestorben sind. 

Woher stammt der Name „Kentucky-Geweihbaum“?

Geweihbäume erinnern, insbesondere wenn sie ihr Laub abgeworfen haben, an den Kopfschmuck männlicher Hirsche. Das Besondere an ihrem Wuchs: Sie bilden kein „Feinreisig“, so der Fachausdruck, also keine dünnen Verzweigungen.

Ihr dickes, knorriges, zweigloses Erscheinungsbild spiegelt sich auch in ihrem botanischen Namen wider: Der Gattungsname „Gymnocladus“ lässt sich mit „Nacktzweigler“ übersetzen, eben weil die kräftigen Zweige keine dünneren ausbilden. Der Artname „dioicus“ bedeutet „zweihäusig“.

Woher stammt der Kentucky-Geweihbaum?

Dem Namen nach aus ›Kentucky. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. In Kentucky entdeckten Botaniker Anfang des 18. Jahrhundert das erste, für sie neuartige Exemplar. Tatsächlich ist es nur ein kleiner Teil Kentuckys, in denen Wildbestände des Geweihbaumes vorkommen. Dessen natürliches Hauptverbreitungsgebiet liegt nördlich und östlich davon, in Bundesstaaten, die man dem Mittleren Westen der USA zuordnet. Ab 1750 wurden einzelne Exemplare als exotische Ziergehölze in europäischen Parkanlagen gepflanzt.

Wo finde ich einen Kentucky-Geweihbaum im Botanischen Garten Gütersloh?

Ein unverwechselbares, typisch knorrig in alle Richtungen gewachsenes Exemplar steht am Weg zwischen den Saisonalen Beeten / dem Asterngarten und der Birkenwiese. Wie für Geweihbäume typisch, hat es viele waagerecht zum Boden gewachsene Äste ausgebildet. Spaziergänger bleiben bewundernd stehen, doch kaum einer der Staunenden weiß, was er da vor sich sieht. Wer diese Kolumne gelesen hat, kann ab heute beides tun: staunen und erklären, über was wir da staunen. 

Wie pflanze ich einen Kentucky-Geweihbaum im eigenen Garten?

Als Liebhaber des Außergewöhnlichen. Einen Kentucky-Geweihbaum hat nicht jeder im Garten stehen, und das hat Gründe. Geweihbäume wachsen sehr langsam; die jahrelange Pflege auf den ersten zwei, drei Metern lässt sich die Baumschule gut bezahlen.

Die bisweilen bizarre Wuchsform macht den Baum einzigartig, ist aber nicht jedes Gartenbesitzers Sache (ganz abgesehen vom Platz, den man benötigt). Vor allem aber sollte man wissen, dass der Geweihbaum mehr als die Hälfte des Jahres unbelaubt ist; er treibt sein Laub spät im Mai aus und verliert es im Oktober schon wieder. Andererseits: gerade „nackt“ ist er ein Hingucker.

Wer hätt’s gedacht?

Der Kentucky-Geweihbaum gilt offiziell als „aus der Zeit gefallen“, wissenschaftlich formuliert: als ein Beispiel für einen evolutionären Anachronismus. Seine zähen, ledrigen, bis zu 25 cm (!) großen Hülsenfrüchte sind für die Vermehrung in unserem aktuellen Zeitalter denkbar ungeeignet. Die Samenkapseln wiegen viel zu viel, um sich mit dem Wind oder auf dem Wasserweg verbreiten zu können, und sie sind zu groß und unverdaulich, um von Tieren aus der nordamerikanischen Fauna gefressen werden zu können. 

Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Samen in prähistorischer Zeit von Großsäugern verspeist wurden, die mittlerweile ausgestorben sind. Bis vor 10.000 Jahren landeten Früchte und Samen noch in den Mägen von ›Mastodons, die sie mit dem Kot ausschieden und damit, eine prächtige Portion Dünger inklusive, auf dem nordamerikanischen Kontinent verbreiteten.

Der Kentucky-Geweihbaum hat seine Fortpflanzungsmethode nicht angepasst und setzt noch heute auf Helfer, die es gar nicht mehr gibt. So gesehen ist es höchst erstaunlich, dass er überhaupt noch existiert.

Heutzutage kann er sich auf natürlichem Wege nur vermehren, wenn die Früchte auf dem Boden verrotten, was sie auf feuchten Böden schneller tun. Das erklärt, warum der Baum früher in Wäldern, heute hingegen fast ausschließlich in Feuchtgebieten zu finden ist.



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